ÜBERPRÜFUNG DER ENTSCHEIDUNG
05.06.2023 Datum der Entscheidung der Schiedskommission für Versicherungsstreitigkeiten
Das Schiedsgericht, das mit der Beilegung des betreffenden Streitfalls betraut ist, hat eine richtungsweisende Entscheidung zur Erdbebenhaftpflichtversicherung getroffen, die im Folgenden analysiert werden soll. Vor der Analyse der Entscheidung wird zum besseren Verständnis der Entscheidung auf die erdbebenbezogene Versicherungspraxis in der Türkei eingegangen, insbesondere auf die Naturkatastrophenversicherungsanstalt und die Erdbebenpflichtversicherung.
VORABINFORMATION
Anwendung der obligatorischen Erdbebenversicherung in der Türkei
Die Türkei liegt in einer der erdbebengefährdetsten Regionen der Welt. Das Land ist aufgrund seiner Lage am Schnittpunkt mehrerer großer Verwerfungslinien einem häufigen Erdbebenrisiko ausgesetzt. Diese Erdbeben verursachen materielle Schäden, den Verlust von Menschenleben und soziale Traumata. Daher ist die Türkei bestrebt, mit Hilfe des ZDS diese Risiken zu managen und diese Schäden in den Augen der Gesellschaft zu minimieren.
Die obligatorische Erdbebenversicherung (Zorunlu Deprem Sigortası „ZDS“) wird vom türkischen Katastrophenversicherungspool (Doğal Afet Sigorta Kurumu ,,DASK’’) organisiert. DASK wurde im Jahr 2000 durch die Rechtsverordnung Nr. 587 zur Minimierung von Erdbebenschäden nach dem Marmara-Erdbeben vom 17. August 1999, das massive Verluste an Menschenleben und Sachwerten verursachte, gegründet und erhielt durch das 2012 in Kraft getretene ZDS Nr. 6305 einen rechtlichen Rahmen. Die DASK ist eine öffentliche Einrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit, die für die Aktivitäten im Zusammenhang mit der ZDS in der Türkei zuständig ist. Mit den über die ZDS eingenommenen Prämien entschädigt sie Sachschäden, die nach einem Erdbeben entstanden sind. Auf diese Weise unterstützt sie den Wiederaufbau der Gesellschaft nach einem Erdbeben. Die ZDS versichert Immobilienbesitzer gegen erdbebenbedingte Schäden wie Gebäudeeinsturz, Risse in Wänden und ähnliche erdbebenbedingte Schäden, kann aber auch andere Risiken, die als Folge eines Erdbebens auftreten können, wie Feuer, Explosion und Tsunami, einschließen. Die zu leistende Entschädigung wird auf der Grundlage der Kosten für den Wiederaufbau oder die Reparatur des Gebäudes berechnet. Der Geltungsbereich der ZDS ist in den Allgemeinen Bedingungen der ZDS, die am 16.05.2011 in Kraft getreten sind, allgemein festgelegt.
Gegenstand der obligatorischen Erdbebenversicherung
Die Erdbebenversicherung ist eine Sachversicherung. Weltweit besteht in der Regel keine Sachversicherungspflicht. Angesichts des hohen Zerstörungspotenzials der in unserem Land zu erwartenden Erdbeben und des geringen Versicherungsbewusstseins in der Gesellschaft ist die obligatorische Erdbebenversicherung jedoch eine Pflichtversicherung, die von den Hauseigentümern abgeschlossen werden sollte. Die Tatsache, dass für den Fall, dass keine Versicherung abgeschlossen wird, keine strafrechtlichen Sanktionen vorgesehen sind, macht aus der Pflichtversicherung eine freiwillige Versicherung.
In Artikel 1 des Katastrophenversicherungsgesetzes Nr. 6305 (Afet Sigortaları Kanunu ,ASK’’) heißt es: „Zweck dieses Gesetzes ist die Festlegung der Modalitäten und Grundsätze der obligatorischen Erdbebenversicherung, die zur Deckung von Sachschäden an Gebäuden, die durch Erdbeben verursacht werden können, abzuschließen ist, sowie der Versicherungs- und Rückversicherungsgarantien, die zur Deckung von Sach- und Personenschäden angeboten werden müssen, die durch verschiedene Katastrophen und Risiken verursacht werden können, die von den Versicherungsgesellschaften nicht gedeckt werden können oder bei denen die Deckung Schwierigkeiten bereitet“.
Gebäude, die durch die obligatorische Erdbebenversicherung gedeckt sind:
Zu Wohnzwecken errichtete Gebäude auf Grundstücken, die im Grundbuch eingetragen sind und dem Privateigentum unterliegen,
634 nummerierte selbständige Abschnitte im Geltungsbereich des Wohnungseigentumsgesetzes,
selbständige Abschnitte innerhalb dieser Gebäude, die für Geschäfts-, Büro- und ähnliche Zwecke genutzt werden,
Wohnungen, die vom Staat aufgrund von Naturkatastrophen oder mit Hilfe eines Darlehens gebaut wurden.
Die obligatorische Erdbebenversicherung erfüllt ebenfalls die oben genannten Bedingungen;
Gebäude, an denen eine Dienstbarkeit für Eigentumswohnungen bestellt ist,
Gebäude, die noch nicht im Grundbuch eingetragen sind und im Grundbuch als „Grundstücke usw.“ erscheinen,
Genossenschaftshäuser, für die noch keine Eigentumsurkunden ausgestellt wurden.
Kosten der Versicherung
Gemäß Artikel 13 des Gesetzes Nr. 6305 werden Fragen wie der Versicherungsschutz und die Festsetzung der zu zahlenden Prämien durch Tarife geregelt. In diesem Zusammenhang veröffentlicht die Regulierungs- und Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die private Altersvorsorge (Sigorta ve Özel Emeklilik Düzenleme ve Denetleme Kurumu ,,SEDDK’’) einmal jährlich eine Bekanntmachung mit dem Titel „Tarife und Anweisungen“. Mit der letzten Tarifänderung wurde die ab dem 17.11.2021 für alle Gebäudetypen festgelegte maximale Versicherungssumme von 320.000 TL auf maximal 640.000 TL für alle Gebäudetypen mit dem im Amtsblatt vom 25.11.2022 veröffentlichten neuen Tarif erhöht.
Darüber hinaus wird gemäß Art. A.6 der Allgemeinen Bedingungen der ZDS ein Selbstbehalt von 2% der Versicherungssumme pro Schadensfall anzuwenden. Die Berechnung der Versicherungsleistung erfolgt auf der Grundlage der Wiederherstellungskosten, die auf der Grundlage der Marktpreise des Gebäudes unter Berücksichtigung ähnlicher Gebäudemerkmale am Ort und zum Zeitpunkt des Risikos berechnet werden, vorausgesetzt, dass die vom DASK festgelegten maximalen Wiederherstellungskosten pro Quadratmeter nicht überschritten werden[1].
Zusammenfassung des zu entscheidenden Falles
Der Kläger begehrt von der DASK Entschädigung für Schäden, die durch das Erdbeben in Hatay am 06.02.2023 in dem von der Erdbebenversicherung nach der ZDS-Police gedeckten autonomen Teil entstanden sind. Die Erklärung des Anwalts des Anspruchstellers lautet wie folgt;
Infolge des Erdbebens vom 06.02.2023 musste sein Haus gemäß den Bestimmungen des Ministeriums für Umwelt, Urbanisierung und Klimawandel dringend abgerissen werden, und in diesem Zusammenhang zahlte DASK den Betrag, der sich aus der Multiplikation der in der Police angegebenen Quadratmeterzahl mit 1.508,00 Türkische Lira (TL) ergab, d.h. er wurde nach dem alten Tarif vom 17.11.2021 gezahlt, während nach dem Tarif vom 25.11. 016,00-TL nach dem Tarif vom 25.11.2022 multipliziert wurde, also eine Unterzahlung vorlag, die Deckungshöchstgrenze 640.000,00-TL und nicht 320.000,00-TL betrug, die Quadratmeterstückkosten nach der am Tag des Erdbebens geltenden Grenze ohne Mehrprämie zu zahlen waren und die Zahlung des Fehlbetrages verlangte.
Anwalt der DASK in seiner Klagebeantwortung
Nach Abzug eines Selbstbehalts von 2 % von der an den Kläger zu zahlenden Entschädigung in Höhe von 164.040,24 TL, die in voller Höhe gezahlt wurde, war der Schaden des Klägers nach den zum Zeitpunkt des Schadenseintritts geltenden gesetzlichen Bestimmungen vollständig gedeckt. Da DASK keine Versicherungsgesellschaft ist und über keine Betriebsgenehmigung verfügt, unterliegt sie nicht den Bestimmungen des türkischen Handelsgesetzbuches (Türk Ticaret Kanunu ,,TTK’’) gemäß Art. 1401/2. 1401/2 TTK, dass es mit dem System der obligatorischen Erdbebenversicherung unvereinbar sei, dass alle Versicherten ohne Nachtrag und ohne Prämienerhöhung in den Genuss einer erhöhten Deckung kämen, und dass die gegenteilige Situation zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Versicherten führen würde.
Obwohl der Anwalt des DASK in seiner Klageschrift die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt hatte, hielt das Schiedsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht für erforderlich und entschied den Streitfall nach Aktenlage.
Vom Gerichtshof zusammengefasst
Es wurde festgestellt, dass weder das Gesetz noch die im Amtsblatt vom 25.11.2022 veröffentlichte Mitteilung über die Tarifänderung vorsehen, dass der Versicherte eine Zusatzversicherung abschließen und zusätzliche Prämien zahlen muss, um in den Genuss des neuen Tarifs zu kommen. Da der einschlägige Artikel des TTK vorsieht, dass die Mitteilung nur schriftlich erfolgen kann und als Datum der Mitteilung das Datum der Übergabe der Mitteilung an die Post oder den Notar gilt, während die Beklagte erklärte, dass die Tarifänderung gemäß den Bestimmungen der Verordnung im Amtsblatt veröffentlicht wurde und die Mitteilung daher als erfolgt gilt, konnte dieser Einwand vor dem Schiedsgericht unter Berücksichtigung der eindeutigen Bestimmung und der Normenhierarchie nicht berücksichtigt werden. Das Schiedsgericht kam zu dem Schluss, dass die Berechnung der Entschädigung auf der Grundlage der im Tarif vom 25.11.2022 angegebenen Quadratmeterpreise zu erfolgen habe, und gab der Klage statt.
Überprüfung der Entscheidung
Der Hauptstreitpunkt in dem Fall, der dem Schiedsgericht zur Entscheidung vorgelegt wurde, ist die Frage, ob der aktuelle Tarif oder der Tarif zum Zeitpunkt der Ausstellung der Police als Grundlage für die Auszahlung von Ansprüchen aus ZDS-Policen, die vor der genannten Ankündigung ausgestellt wurden und noch in Kraft sind, zu verwenden ist, ob bei einer Unterscheidung ein Nachtrag erstellt und eine zusätzliche Prämie erhoben werden muss und, falls eine Mitteilung erforderlich ist, nach welchem Verfahren die Mitteilung über diese Frage zu erfolgen hat.
An dieser Stelle sind die Pflichten des ZDS-Versicherten und des Versicherers im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen zu prüfen und es ist zu untersuchen, ob es eine Regelung gibt, die den Versicherten verpflichtet, einen Nachtrag einzureichen und dafür eine zusätzliche Prämie zu zahlen, und ob es eine Regelung gibt, die besagt, dass in Ermangelung eines Nachtrages der alte Tarif für die Berechnung der Entschädigung gilt.
Betrachtet man die Allgemeinen Bedingungen des ZDS, so regelt Artikel B.1. die Obliegenheiten des Versicherten bei Eintritt des Versicherungsfalles und Artikel C.2. die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers. In den einschlägigen Artikeln wird nicht klargestellt, dass im Falle eines Tarifwechsels ein Nachtrag zu erstellen ist, andernfalls erfolgt die Entschädigung nach dem alten Tarif und es besteht keine Verpflichtung zur Erstellung eines Nachtrags.
Art. 10 des Katastrophenversicherungsgesetzes Nr. 6305 regelt den Anwendungsbereich des ZDS und die Versicherungspflicht, Art. 12 die Pflichten des Versicherten. Eine Nachtragspflicht des Versicherungsnehmers ist nicht vorgesehen.
Auch die vom DASK ausgestellten Versicherungspolicen enthalten keine Verpflichtung zur Ausstellung eines Nachtrags.
Auch die Verordnung über die obligatorische Erdbebenversicherung sieht keine Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Ausstellung eines Nachtrages vor.
Wie man sieht, gibt es keine Regelung, die den Versicherten verpflichtet und die besagt, dass bei Fehlen eines Nachtrages der alte Tarif für die Berechnung der Entschädigung gilt.
Eine weitere Frage ist, ob der Versicherer den Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über die Notwendigkeit eines Nachtrags informiert hat.
Das Tarif- und Weisungskommuniqué 2019 wurde um einen provisorischen Artikel ergänzt, der wie folgt lautet: „Für Versicherungsverträge, die vor dem Datum der Veröffentlichung des Kommuniqués, das diesen Artikel erlässt, abgeschlossen wurden und deren Versicherungsbeginn am oder nach dem 1.1.2020 liegt, gelten die Garantien dieses Kommuniqués ohne Zusatzprämie“. Dieser befristete Artikel ist jedoch nicht im Kommuniqué vom 25.11.2022[2] enthalten. Darüber hinaus haben der DASK und die Versicherungsgesellschaften nach dem Kommuniqué von 2022 SMS-Nachrichten an die Telefonnummern der Versicherten in den Policen[3] versandt, um die Versicherungskosten auf den neuen Tarif zu aktualisieren, und auf diese Weise wurden die Versicherten informiert.
Gemäß Artikel 23 Absatz 2 der Verordnung über die Funktionsweise des Versicherungspools für Naturkatastrophen informiert das Versicherungsunternehmen, das die ZDS-Police ausgestellt hat, die Versicherungsnehmer vor Ablauf des Versicherungsvertrags per SMS, E-Mail oder Call-Center über das Ende des Vertrags und die Verpflichtung zum Abschluss einer neuen Versicherung. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Mitteilung über die in diesem Artikel genannten Kommunikationsmittel nur dann als Erfüllung der Informationspflicht angesehen werden kann, wenn sie sich auf die in diesem Artikel genannten Situationen bezieht. Andernfalls müssen die Mitteilungen gemäß Artikel 10 der Verordnung über die Offenlegung von Versicherungsverträgen und Artikel 1423d der Verordnung über die Offenlegung von Versicherungsverträgen erfolgen.
Andernfalls müssen die Mitteilungen gemäß Artikel 10 der Verordnung über die Offenlegung von Versicherungsverträgen und TTK Artikel 1423 schriftlich erfolgen.
Aus den Erläuterungen geht hervor, dass sich die Mitteilungen des DASK und der Versicherungsgesellschaften per SMS auf Sachverhalte beziehen, die zu einem erheblichen Rechtsverlust führen können, und dass diese Mitteilungen schriftlich erfolgen müssen.
SCHLUSSFOLGERUNG
Es ist bekannt, dass der Versicherungsnehmer die schwächere Partei in Versicherungsverträgen ist. Es besteht eine deutliche Informationsasymmetrie zwischen den Parteien, und an diesem Punkt ist die Versicherungsgesellschaft, die über ein wesentlich höheres Maß an beruflicher Erfahrung und Kompetenz verfügt als der Versicherungsnehmer, nach dem türkischen Handelsgesetzbuch, dem Verbraucherschutzgesetz, dem Versicherungsgesetz und den einschlägigen Vorschriften verpflichtet, den Versicherungsnehmer zu informieren und aufzuklären. Diese Pflicht besteht sowohl während des Vertragsabschlusses als auch während der Laufzeit der Versicherung.
Wie der vorliegende Fall zeigt, gibt es weder in den ZDS-Bestimmungen eine Regelung, wonach die Entschädigung nicht nach dem aktuellen Tarif berechnet wird, wenn der Versicherungsnehmer keinen Nachtrag einreicht, sondern Anspruch auf Entschädigung nach dem Tarif der Vorperiode hat, noch gibt es eine solche Regelung in den von der DASK veröffentlichten Tarifen und ausgestellten Policen. Mit dem Kommuniqué vom 25.11.2023 haben sich die Kosten für den Wiederaufbau pro m² fast verdoppelt, und die Verpflichtung, einen Nachtrag vorzunehmen, was einen erheblichen Rechtsverlust für den Versicherten bedeutet, kann nicht einfach per SMS mitgeteilt werden, sondern muss schriftlich mitgeteilt oder durch eine gesetzliche Regelung festgelegt werden.
Man kann sagen, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts angemessen ist, da die Mitteilung nicht verfahrensgemäß erfolgt ist und es im Rahmen der geltenden Gesetzgebung keine Regelung für die Durchführung eines Nachtrages gibt.
[1] Stahlbeton m² Preis nach Tarif 2021: 1.508 Türkische Lira; Sonstige: 1.040 Türkische Lira
2022 Tarif nach Stahlbeton m² Preis: 3.016 Türkische Lira; Sonstige: 2.090 Türkische Lira
[2] SARIASLAN, Metin, Obligatorische Erdbebenversicherung und TCIP, S.18
[3] SARIASLAN S.21